Improvisierte Anmerkungen zu "Gedichten" aus dem "Forum der Dreizehn"
Wenn Gedichte streng, präzise, im langwierigen Arbeitsprozeß
verdichtete, sogenannte Textkörper sind, dann handelt es sich bei
diesen "Gedichten" um keine Gedichte. Die meisten von ihnen sind in sehr
kurzer Zeit, aus einem sehr aktuellen, sehr vergänglichen Anlaß
entstanden. Es sind mehr gedichtartige Experimente.
Das "Forum der Dreizehn" im Internet (www.forum-der-13.de)
ist eine Art kollektiver Briefwechsel, der in offener Form seit
circa einem Jahr (beginnend im September 1999) eine Selbstverständigung
von Autorinnen und Autoren jenseits des Literaturbetriebs verfolgt.
Die meisten der "Gedichte" hier sind diesem Forum entnommen.
Als ein wichtiges ästhetisches Kriterium für alle Internet-Texte
dieser Art (in denen kurze, relativ direkte kommunikatorische Bezüge
eine zentrale Rolle spielen) dürfte sich die Improvisation erweisen.
Neben Ansätzen zu gesellschaftstheoretischen und poetologischen Diskussionen,
neben kommentierenden oder analysierenden Beiträgen zum Zeitgeschehen
scheinen sich dafür auch lyrikartige Formen zu eignen.
Improvisation hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Im Gegenteil setzt
sie die souveräne Handhabung eines Regelwerks voraus. Eines Regelwerks,
das je nach ästhetischem Anliegen verschieden ausfällt. Während
solche Regelwerke in der Musik seit jeher gang und gäbe sind, gibt
es sie in der Literatur nur rudimentär in Form mündlicher Traditionen
(Märchenerzähler etwa) oder eingebunden in einen musikalischen
Rahmen (bayerische Gstanzlsänger, lautmalerisches Scatten, improvisierter
Rap).
Im Kontext der neuen Form von "schneller" Öffentlichkeit, die
das Internet darstellt, könnte die Improvisation jedoch auch für
die schriftliche literarische Produktion einen Stellenwert erlangen. Eine
der Möglichkeiten, Regeln für die Improvisation auszubilden,
könnte in lyrischen Strukturen liegen. So scheint es mir kein Zufall
zu sein, daß gerade Rainald Goetz, der erfahrenste unter den Internet-Autoren,
seinen dreimonatigen Aufenthalt im Internet-Projekt Pool mit täglichen
Gedichten bestritt. Gedichten, die unter konventionellen lyrischen Gesichtspunkten
nicht zu messen sind, die sich vielmehr einem improvisatorischen Zugriff
aufs Tagesmaterial verschrieben haben. Inwieweit diese "Lyrik" im einzelnen
gelungen ist, muß von Fall zu Fall entschieden werden und ist zunächst
bedeutungslos für das Gesamtexperiment.
Ich selbst habe in loser Folge im "Forum" immer wieder einmal verschiedene
Möglichkeiten solcher gedichtartiger Improvisationen ausprobiert:
Reime (Sellerie-Zyklus), quasi "volkstümliche" Weisen (Kurzer Abriß
über die Identität), direktes Einbeziehen des Tagesgeschehen
(Plakatgedichte). Ob sich daraus schon Formen ablesen lassen, in denen
sich diese Art des Improvisierens weiter entwickeln kann, wird sich, soviel
steht fest, allerdings erst noch zeigen müssen.
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